Nach über einem halben Jahr Leben in der Pandemie hat sich für viele Menschen ein neuer Alltag etabliert. Abstand halten und Masken tragen sind immer noch notwendige Schutzmaßnahmen im öffentlichen Raum, aber die meisten Menschen haben sich bereits daran gewöhnt. Mit den zunehmenden Öffnungen von Geschäften, Unternehmen oder Restaurants steigt aber auch die Gefahr von Corona-Hotspots. Deshalb ist es wichtig, dass Hygienekonzepte entwickelt und effektiv umgesetzt werden; egal ob am Arbeitsplatz oder in der Dorfwirtschaft.
Die Corona-Ausbrüche in den deutschen Schlachtbetrieben haben uns aber im vergangenen Monat vor Augen geführt, dass die Gefahr nicht gebannt ist und dass auch in Sachen Schutz am Arbeitsplatz noch viel zu tun ist. Überall, wo Menschen auf engstem Raum zusammenarbeiten, besteht die Gefahr eines neuen Ausbruchs. Es ist dabei vor allem die gesetzlich festgelegte Verantwortung der Unternehmen, den Arbeitsschutz vor Ort sicherzustellen. Der Staat – genauer gesagt die Gewerbeaufsicht – hat zudem die Aufgabe, die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitsschutzbestimmungen zu überwachen. Dabei ist mir wichtig zu betonen: Viele Unternehmen nehmen den Arbeitsschutz ernst und setzen die gesetzlichen Regelungen um. Es gilt aber diejenigen schwarzen Schafe zu identifizieren, die aus unterschiedlichen Gründen den Arbeitsschutz vernachlässigen und in der Corona-Pandemie die Gesundheit der Mitarbeiter*innen aufs Spiel setzen.
Wie konnte es also dazu kommen, dass dennoch regionale Ausbrüche im Umfeld von großen landwirtschaftlichen Betrieben oder Schlachthöfen möglich waren? Mit zwei Schriftlichen Anfragen zum Thema Arbeitsschutz (SAN Arbeitszeit und Arbeitsschutz) und zur Fleischindustrie (SAN Fleischwirtschaft in Bayern) habe ich bei der Staatsregierung nachgefragt, wie die Gewerbeaufsicht derzeit personell aufgestellt ist und wie gut sie aus Sicht der Staatsregierung ihre Aufgaben erfüllen kann. Die Antwort auf diese Anfragen ist sehr unbefriedigend.
Zwischen 2010 und 2019 wurde das Personal in der Gewerbeaufsicht um circa 18,5% geschrumpft – bei den zuständigen Kontrolleuren im Arbeitsschutz sogar um gut 22%. Deshalb ist nicht verwunderlich, dass die Zahl der Besichtigungen im selben Zeitraum um gut 41% zurückging. Damit erklärt sich auch, warum die Beanstandungen z.B. in der Leitbranche Nahrungs- und Genussmittel um über die Hälfte (54%) abnahmen. Dabei ist wichtig: Der Rückgang der Beanstandungen ist nicht notwendigerweise eine Konsequenz von besserem Arbeitsschutz in den Unternehmen, sondern vermutlich auch Folge des Personalmangels in den Gewerbeaufsichtsämtern.
Ein weiterer Punkt ist der Trend zu größeren Betrieben. Zwischen 2008 und 2018 nahm die Anzahl der Betriebsniederlassungen in der Fleischindustrie in Bayern um 35% ab. Bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten (ohne geringfügig Beschäftigte und ohne Leiharbeit) lag der Rückgang allerdings nur bei gut 5%. Wenn also mehr Menschen in weniger Niederlassungen arbeiten, dann ist es umso wichtiger, dass Hygienevorschriften konsequent umgesetzt werden. Das ist in einigen Fällen aber nicht passiert und die Gewerbeaufsicht konnte aus Personalmangel dem keinen Riegel vorschieben.
Eine Aufsicht aber, die nicht ausreichend hinter die Türen der zu kontrollierenden Betriebe und gar nicht in die Betriebsunterkünfte schaut, fördert regelrecht Verstöße gegen Hygiene- und Unterbringungsvorschriften und versagt als unabhängige Schutzinstanz für die Beschäftigten. Wir bereits ende Juni in einem Dringlichkeitsantrag Verbesserung gefordert. Es ist für mich völlig unverständlich, warum die schwarz-orange Landesregierung auch jetzt, mitten in der Corona-Pandemie, nicht handelt. Wir brauchen dringend landesweite einheitliche Hygienekonzepte in der Nahrungsmittelindustrie. Außerdem fordern wir, die Gewerbeaufsicht personell aufzustocken und damit eine Trendwende in der Personalpolitik einzuleiten. Wir brauchen mehr Kontrollen und nicht weniger.
Wir haben bereits ausreichend praktikable Lösungsvorschläge auf den Tisch gelegt. Die Staatregierung muss sie nur endlich umsetzen. Das ist sie den Arbeitnehmer*innen schuldig; aber auch den Unternehmen, die sich an die gesetzlichen Bestimmungen halten.