Rede zum Dringlichkeitsantrag „Beschäftigte in der Fleischindustrie schützen: Kontrollen der Gewerbeaufsicht ausweiten“

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

7.000 Tönnies-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, 1.300 Wohnungen, fast 1.600 infizierte Beschäftigte. Diese Zahlen machen zum einen fassungslos und zum anderen besser nachvollziehbar, wie dieses Fiasko überhaupt passieren konnte. Auch in anderen Schlachthöfen wie im niederbayerischen Bogen wurden 100 Menschen positiv auf das Virus getestet. Die Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie fordern einen lokalen Ausbruch des Coronavirus geradezu heraus. Das muss sich schleunigst ändern.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Pandemie hat die langjährigen eklatanten Missstände in der deutschen Fleischindustrie deutlich aufgedeckt. Billiges Fleisch hat seinen Preis, und diesen bezahlen gerade die Beschäftigten in der Fleischindustrie. Die Ausbeutung von Menschen ist hier an der Tagesordnung. Das mag wirtschaftlich sein, aber mit sozialer Marktwirtschaft hat das nichts zu tun. Diese Zustände sind untragbar.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Hier muss der Staat eingreifen. Er muss die Beschäftigten schützen. Er muss sicherstellen, dass Arbeits- und Hygieneschutz in allen Bereichen eingehalten werden und dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Osteuropa entsprechend den Hygienerichtlinien untergebracht sind. Wenn ich meinen Job richtig mache, dann weiß ich, dass ich in den Großschlachtbetrieben besonders genau hinschau-en muss. Nicht umsonst kennen wir den Begriff des gesunden Misstrauens. Wir fordern deshalb verpflichtende Hygienekonzepte in der Fleischindustrie.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, blicken wir noch einmal auf die Situation: Billige Arbeitskräfte aus Osteuropa werden angeworben. Diese erhalten wegen bestehender Werkverträge nicht einmal den Mindestlohn. Sie werden weiter ausgebeutet, weil sie etwa in Massenunterkünften 250 Euro Miete für eine Matratze zahlen, die sie sich teilweise im Schichtbetrieb teilen müssen. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter arbeiten 10 bis 12 Stunden und brauchen trotzdem Leistungen der Jobcenter. Ganz viele berichten in der Presse davon, dass sie sich aus Angst vor Kündigung zur Arbeit schleppen, einige sogar mit akuten Symptomen. Zudem gibt es Berichte, wonach auch in den vergangenen Wochen 30 Leute gleichzeitig miteinander gear-beitet haben, aber ohne Hygiene- oder Abstandsschutz.

Das Credo der Betriebe lautet zu oft: Auslagern an den Subunternehmer, der möglichst hohe Rendite machen möchte. Aktuell führen die Subunternehmer-Ketten dazu, dass es für die Gesundheitsämter schwer nachzuvollziehen ist, wer überhaupt in dem Schlachthof arbeitet. Die Fleischindustrie weiß scheinbar selbst nicht einmal ganz genau, wen sie gerade ausbeutet. Es gilt wohl: möglichst wenig Arbeitskräfte, möglichst hohes Tempo. Das geht auf die Kosten des Arbeitsschutzes. Aus NRW wissen wir: 2019 wurden in 30 Großbetrieben der Fleischwirtschaft mit 17.000 Beschäftigten bei Kontrollen 8.752 Verstöße festgestellt, davon allein 5.863 Arbeitszeitverstöße. Die Zahlen in Bayern kennen wir nicht, weil die Jahres-berichte der Gewerbeaufsicht seit 2016 online nicht mehr auffindbar sind. Aber warum sollte es in Bayern besser sein? – Das ist ein systematisches Problem in der Branche, das einfach mit Werkverträgen einhergeht. Dagegen müssen wir vorgehen.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Ich möchte noch einmal betonen, dass das Problem seit Jahren bekannt ist. Oft gehören gut 50 % der Beschäftigten in einem Betrieb zu Fremdfirmen. Was ist bisher geschehen? – Nichts. Sie haben nichts unternommen. Wir brauchen keine freiwillige Selbstverpflichtung zur Verbesserung der Arbeitssituation. Die gibt es seit 2015. Was hat die Freiwilligkeit gebracht? – Nichts. Lassen Sie uns im Bund endlich dafür sorgen, dass diese unsäglichen Werkverträge in der Fleischindustrie der Vergangenheit angehören, und zwar nicht erst 2021, sondern unverzüglich. Es ist schon jetzt zu spät. Das Coronavirus wartet nicht auf nächstes Jahr.

Ich will aber betonen, dass es auch anders geht. Bei einem Schlachtbetrieb im Landkreis Vechta sind zum Beispiel alle Beschäftigten fest angestellt und verdienen mindestens 11 Euro in der Stunde. Auch beim kommunalen Schlachthof in Krumbach sind alle Beschäftigten fest angestellt. Es geht also. Man muss Menschen nicht ausbeuten, um rentabel zu wirtschaften.

Wir brauchen auch Betriebsräte, die an einem Schlachthof für die gesamte Belegschaft zuständig sind. Wie sollen sich denn die Arbeitsbedingungen verbessern, wenn die Betriebsräte nur für die Hälfte der Beschäftigten zuständig sind? Zur Verbesserung können wir wie im Baugewerbe eine Nachunternehmerhaftung einführen. Wenn Unternehmen Aufträge an Subunternehmer weitergeben, dann müssen sie Sozialversicherungsbetrug ausschließen können.

(Beifall bei den GRÜNEN)

Die Bayerische Staatsregierung kann auch direkt über die Gewerbeaufsicht handeln. Wir fordern, dass die Gewerbeaufsichtsämter endlich mit ausreichenden finanziellen Mitteln und mit genug Personal ausgestattet werden, damit sie mehr unangemeldete Kontrollen in den kritischen Branchen durchführen können. Dafür brauchen sie dringend mehr Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Sie dagegen haben die Gewerbeaufsichtsämter in den vergangenen Jahren lieber ausbluten lassen. So funktioniert Arbeitsschutz nicht. Wir müssen zudem die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen den verschiedenen Kontrollbehörden, den Gewerbeaufsichtsämtern, den Gesundheitsämtern und der Lebensmittelüberwachung dringend verbessern und ausbauen, damit die gewonnenen Informatio-nen nicht versanden. Was bringt denn eine Kontrolle, wenn die Beanstandungen nicht an die entsprechende Stelle weitergegeben werden? Hier besteht Verbesserungsbedarf. Diesen können wir jetzt angehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben die Möglichkeit, die Arbeitsbedingungen für viele Tausend Beschäftigte in der fleischverarbeitenden Industrie jetzt zu verbessern. Damit schützen wir Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Wir schützen aber auch die Bevölkerung als Ganzes; denn durch bessere Arbeitsbedingungen senken wir die Gefahr einer Verbreitung des Virus und verhindern einen weiteren Lockdown wie in NRW in bestimmten Gebieten. Das kranke System Fleischindustrie muss jetzt endlich umgekrempelt werden. Wir brauchen menschenwürdige Arbeitsbedingungen. Wir müssen den Fokus auf das Tierwohl legen. Lassen Sie es uns anpacken

(Beifall bei den GRÜNEN)

Dem Antrag der FDP stimmen wir zu, wenngleich ich anmerken will, dass es sehr schade ist, dass Sie sich nur auf Kontrollen beschränken und das wichtige Thema Werkverträge ausklammern. Ein Verbot der Werkverträge wäre eine echte Verbesserung für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Dem Antrag der SPD stimmen wir ebenfalls zu, auch wenn ich bereits betont habe, dass wir ein schnelleres Werkvertragsverbot möchten.

(Beifall bei den GRÜNEN)

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